ostrale 2010
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Gregor Collienne erhält den Jurypreis der OSTRALE`010

Der belgische Fotograf Gregor Collienne erhält für seine fotografische Reihe „unknown“ den Jurypreis der OSTRALE`010.

Der in Spa lebende und in Brüssel arbeitende Künstler beeindruckte die Jury mit seinen seltsam unwirklich dokumentarischen, großformatigen Fotografien, die das Tor 8 im Futterstall Ost bedrängend verwandelten. Pur und erschreckend unverstellt scheinen die Fotografien das Wesen jeweils eines Menschen zu beobachten, der wiederum muss sich komplett unbeobachtet fühlen, um sich eben nicht zu zeigen, sondern zu sein.

Ein Geflecht aus Gesten, Mimik, Kleidung, umgebenden Menschen, Straßenzügen und gedankenvoller Gesichter. Der Spannungsbogen entsteht aus dieser authentisch offenlegenden Intimität und der scheinbar inszenierten Beleuchtung der Menschen, die nicht zu erklären ist. Sie bewegen sich in einem Lichtkegel, wie unter einer Lupe, fast möchte man Mitgefühl empfinden – die Seele liegt ungewollt frei.

Die Fotografien lassen in eine krampfende Gesellschaft blicken, in der Menschen eng nebeneinander ihren isolierten Welten nachsinnen.

 

 

Herr Collienne, herzlichen Glückwunsch zum Jurypreis der OSTRALE`010. Wieso heisst Ihre Reihe „unknown“, wenn sie doch so viel Persönliches und Intimes preisgibt?

Unknown, weil ich nichts über die fotografierten Leute weiß. Weder vor noch nach dem fotografieren. Ich habe lediglich einen kurzen, präzisen Moment ihres Lebens festgehalten.
Alles Persönliche und Intime in diesen Bildern basiert auf Vermutungen und auf der Interpretation des Betrachters.

Ich finde es interessant, den einzelnen Menschen unverfälscht in den Fokus zu stellen, um Fragen aufzuwerfen, über Anonymität, Isolation, Einsamkeit, ...

Können oder wollen Sie erzählen, wie diese Fotografien entstanden sind? Wollen Sie die Frage nach dokumentarischem und inszeniertem Moment auflösen?

Zu Beginn der Arbeit  sind die Bilder aus einem Zufall entstanden. Ich habe versucht, an einem Ort eine Stimmung einzufangen. Beim späteren Betrachten wurde mir klar, dass diese Art und Weise Leute zu fotografieren ein gewisses Potential in sich birgt. So war ein neues Projekt geboren.

Die Bilder sind nicht inszeniert. Ich würde sie als provozierten Zufall betrachten.

 

 

Was empfinden Sie beim Anblick „Ihrer“ Menschen?

Die fotografierten Menschen berühren mich. Sie sind ohne es zu wissen ein kleiner Teil meines Lebens geworden. Ohne diese Bilder hätte ich diese Personen nie bewusst wahrgenommen.
Für mich haben die Bilder durch die Apathie der Menschen etwas Beklemmendes. Die Leute wirken verloren und ziellos.

Welche gesellschaftlichen Dimensionen vermuten Sie im komplexen Zusammenspiel von „unknown“? Oder sind es eben doch nur zufällige Momentaufnahmen einzelner Individuen?

Für mich sind die Bilder Zeugnis einer gestressten, individualisierten Welt. Sie zeigen Menschen in Lebensräumen, für die wir „evolutionstechnisch“ eventuell nicht geschaffen sind. Sie fordern den Betrachter auf, sich selbst in Frage zu stellen.

Zu Beginn waren es vielleicht zufällige Momentaufnahmen einzelner Individuen. Ich habe den Zufall jedoch mehr und mehr eingeschränkt durch die Wahl verschiedener Parameter denen die Bilder unterworfen sind.

Ihre Arbeiten hingen im Futterstall des ehemaligen, 100 jährigen Erlwein Schlachthofes. In wie fern inspiriert oder beeinflusst Sie der Ort, an dem Sie ausstellen?

Als ich das erste Mal Skizzen und Fotos des Raumes sah wurde mir schnell klar, dass ich mit relativ Großformatigen Bildern arbeiten wollte, um ihnen im Raum eine Wirkung zu verleihen. Hinzu kam der industrielle Charakter des Futterstalls, der mich dazu bewegt hat, die Bilder auf  großen Planen abzuziehen. Ich glaube, dass beide Aspekte den Bildern entgegen kamen.

 

 

Sie arbeiten sowohl als renommierter Werbefotograf als auch als künstlerischer Fotograf, soweit man diese Bereiche überhaupt trennen kann. Gibt es eine Art Grundhaltung Ihrer Fotografien, unabhängig davon, ob Sie für Kunden oder für die Kunst arbeiten?

Eine Grundhaltung, die beide Sparten betrifft, gibt es nicht, bis auf einige ästhetische Übereinstimmungen. Die Arbeit für Kunden differenziert sich recht stark von persönlichen Arbeiten.

In meinem Fall stehen beide Sparten jedoch nicht im Gegensatz zueinander, sie beflügeln sich eher. Die Arbeit „Unknown“ zum Beispiel hätte mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgesehen, wenn ich nicht durch eine recht präzise Werbefotografie beeinflusst wäre.
Andererseits kommen Werbeagenturen wegen mancher „Kunstfotos“ gezielt auf mich zu, um diesen Stil in der Werbung zu verwenden. Das sind meistens sehr dankbare Jobs, da man eine große künstlerische Freiheit hat.

Welche Projekte warten auf Sie?

In naher Zukunft stehen einige kommerzielle Projekte auf dem Plan.
Darüber hinaus würde ich gerne an einem Portrait-Projekt arbeiten, welches aber noch nicht spruchreif ist.

Mir schwebt auch vor, das Projekt „Unknown“ noch weiter auszuarbeiten. Warum nicht in Asien oder Afrika? Ich sehe die Juryauszeichnung jedenfalls als eine Motivation.

Habe ich noch etwas vergessen?

Herzlichen Dank an die Jury!


Herzlichen Dank.

Das Gespräch führte Anne Müller.

 

 

Gregor Collienne

1973
geboren in belgien

1993 bis 1995
ausbildung zum fotografen auf dem "institut supérieur des beaux-arts saint-luc" in lüttich

1995 bis 2000
reportagefotografie

2000 bis 2004
assistenz bei diversen werbe- und modefotografen in belgien und deutschland

seit 2004
freischaffender fotograf in Brüssel
lebt in Spa

www.gregorcollienne.com




Ausstellungsfotografien: Johannes Göbel, Bonn